Ich glaub' mich dreht's - Dralllängen und Geschossgewichte
- Bernhard Lippe
- Jul 25
- 5 min read
Aufgrund besonderer Vorkommnisse, der Autor hat nun nämlich sein drittes AR15 im Kaliber .223Remington / Wylde erworben, haben wir uns gedacht, die ewig andauernde, kontroverse, Freundschaften beendende Diskussion erneut aufzureissen: Welches Geschossgewicht passt zu welchem Drall beim Kaliber .223 Remington, hier am Beispiel der AR15 Systeme.
Das Fazit am Schluss wird euch überraschen.

Eines jedoch vorweg: Der Autor ist seit 20 Jahren sehr erfolgreich in diversen Schießsportverbänden unterwegs und nimmt im Jahr an einer beträchtlichen Anzahl an Wettkämpfen teil, bei denen er normalerweise auch unter den Top 3 abschließt. Nichsdestotrotz kann er weder übers Wasser laufen, noch wächst ihm Gras aus der Tasche, noch hat er das Nitrocellulosepulver erfunden. Die hier getroffenen Aussagen spiegeln seine Erfahrungen wider und pochen nicht auf Richtigkeit in absolut allen möglicherweise eintretenden Fällen.

Hier haben wir zur Einführung drei in Deutschland populäre Fabrik-Munitionssorten, nämlich die 55grs Geco FMJ, die 63grs Geco FMJ und die 77grs Norma HPBT. Vom schwersten hier gezeigten Geschossgewicht zum leichtesten warten satte 28,57% Gewichtsunterschied auf, die sich ja auch irgendwo bemerkbar machen müssen.
Da der Geschossdurchmesser von .224", also 5,689mm, als feste Konstante beim Kaliber .223Remington gilt, kann ein schwereres Geschoss ja nur känger sein als der leichtere Bruder.

Die CIP, also quasi der TÜV für Waffen und Munition gibt uns bei der L6, also der maximalen Gesamtlänge der Munition, die in ein genormtes Patronenlager passen MUSS, um in Deutschland eine Beschussmarke zu bekommen, vor, dass 57,40mm als Maximalmaß für CIP geprüfte Munition gilt.
Nun kommt es natürlich darauf an: Die meisten AR15 Magazine nehmen gerade mal Munition mit einer Gesamtlänge von 57,10mm auf, wenn man nicht will, dass sich die Patronen im Magazinkörper verklemmen, wenn man diesen mal komplett voll macht.

Die 55grs Geco FMJ kommt mit einer L6 von 55,80mm daher, während die...

63grs Geco FMJ gerade die oben genannte magische Länge ausnutzt.

Die Norma 77grs HPBT wirkt trotz des schwersten und daher auch längsten Geschosses geradezu pummelig.
Wären alle Patronen auf die selbe L6 geladen, also sagen wir mal die magischen 57,10mm, stünde, da das 77grs Geschoss ja am weitesten in die Hülse hineinragt, der geringste Brennraum zur Verfügung, abgesehen davon, dass mit diesem limitierten Antriebsstoff auch noch der schwerste Brummer in Bewegung gesetzt werden muss.
Dies merkt man deutlich an den erreichten Geschwindigkeiten.
Ein 52grs Geschoss startet mit gut 980m/s aus einem 18" Lauf, während die 77grs Krücke mit nur 800m/s umherschleicht.

Hier sehen wir aus dem Fundus des Autors, der schon zehntausende .223 Patronen geladen und verschossen hat, verschiedene Geschosse und Geschossgewichte im Vergleich.

Das Lieblingsgeschoss des Autors und auch seiner HERA mit 18" Nordic Lauf ist das Sierra 52grs HPBT Match King, dass er mit seiner Ladung auf gute 1000m/s beschleunigt. Die Präzision ist aus dem Lauf mit 9" Drall herausragend.

55grs, hier am Beispiel eines Sierra Spitzer Boat Tail, ist das Standardgewicht für .223Remington Laborierungen. 80% aller Fabrikpatronen verwenden dieses Geschossgewicht.

Ein 62grs FMJ Geschoss hat einen besonderen Platz im Herzen aller halbautomaten-Schützen, da viele Läufe, die sich am MilSpec orientieren, mit diesen Geschossen hervorragend harmonieren. Die paar Grain, also ca ein halbes Gramm mehr Gewicht verschaffen im Gegensatz zum 55grs Geschoss schon etwas mehr Vorteil im Wind und bei der kinetischen Energie. Dafür büßt man Geschwindigkeit ein.

Das 65grs Spitzer Boat Tail war mal ein Versuch, das Maximum aus einem SIG PE90 herauszukitzeln, die von der Schweizer Armee mit 63grs Geschossen betrieben werden. Das 65grs Geschoss war damals, in grauer Vorzeit, als der Test stattfand, das nächstliegende Geschossgewicht, dessen man zuverlässig habhaft werden konnte.

Mit dem 68grs Hornady HPBT treten wir in die Riege der "Sondergeschosse" für .223Remington Halbautomaten ein. Hier kann es aufgrund der Geschosslänge zu den ersten bösen Überraschungen beim Schuss kommen. Quer einschlagende Geschosse aufgrund Unterstabilisierung sind möglich.
Passt der Drall, freut man sich über moderate Geschwindigkeit, gute Stabilität im Wind und ausreichend Energie um auch weit entfernte Ziele, bis ca 800m, erfolgreich beschießen zu können.

Wie oben verhält es sich auch mit dem 69grs Sierra Match King HPBT Geschoss. Das lange Führungsband und der nicht ganz so steile Übergang von Körper zur Spitze machen dieses Geschoss zum Liebling der auf Long Range getrimmten AR des Autors, die über einen 7" Drall verfügt.

Ein noch längeres Führungsband und eine kürzere Ogive des Lapua Scenar 69grs HPBT machen dieses Geschoss zu einem Dauerbrenner und sehr erfolgreichem Geschoss auf vielen Wettkämpfen auf der ganzen Welt. Der Name Lapua steht für Qualität, die ersten Feldtests des Autors mit diesem Geschoss stehen allerdings noch aus.

Warum nun also das ganze Gebrabbel und Gemesse über Geschosslängen und -Gewichte? Wenn sogar Geschosshersteller auf ihre Verpackungen Hinweise drucken, muss doch wohl was dran sein.
Eigentlich geht es darum, dass längere Geschosse andere Schwerpunkte haben als kürzere.
Um diese Geschosse, um die eigene Achse drehend, stabilisieren zu können, brauchen längere Geschosse mehr Umdrehungen, also kürzere Dralle.
Ein leichtes Geschoss zu viel zu stabilisieren ist möglich, angeblich kann dies sogar dazu führen, dass sich Geschosse beim Mündungsdurchgang zerlegen. Ob das stimmt, ist dem Autor nicht bekannt, dazu gibt es Gerüchte, aber selbst in der Fachliteratur konnte er auf die Schnelle nichts finden.
Es passiert allerdings, dass zu lange Geschosse unterstabilisiert sind und diese anfangen, auf ihrem Weg ins Ziel zu Trudeln, bis hin sich zu überschlagen.
Uralte .223Remington Büchsen, die auf der .222Remington basieren, verfügen noch über 14" Drall, was bei Geschossen, schwerer als 55grs, ODER bleifreien Geschossen problematisch wird.
Der Autor hatte diesen Vorfall mit seiner Brünner Fox, die er von 55grs Teilmantelgeschossen auf bleifreie 52grs Hornady GMX umstellen wollte, was der 14" Drall seines Laufs mit nur 7 von 10 Einschlägen auf der gesamten Scheibe quittierte, wobei diese noch quer ankamen.
Seit der Einführung von bleifreier Munition treten Dralllängen immer mehr in den Fokus bei Verwendern alter Büchsen mit langen Drallen.
Da Geschosse aus Kupfer oder Messing, was die häufigsten Alternativen zu Blei darstellt, bei gleichem Durchmesser und gleichem Gewicht wesentlich länger sein müssen als ihre bleihaltigen Geschwister, treten eben genau diese Unterstabilisierungsdebatten auf.

Hier sieht man ein bleifreies Hornady GMX, das aus einer Kupferlegierung hergestellt ist. Man sieht, dass dieses Geschoss wesentlich länger ist, als das leichteste bleihaltige Geschoss aus der Vorstellung oben (vgl 52grs Sierra Match King 18,11mm).

Online finden sich viele Diagramme zur Thematik der Geschossgewichte und passenden Dralllängen.
Dieses hier finden wir eingängig und es spiegelt auch unsere Erfahrungen grob wider. Jedoch hängt die Präzision von Munition nicht rein vom Drall und dem Geschossgewicht ab, sondern von vielen weiteren Faktoren, innen- sowie außenballistisch. Und natürlich darf auch der Bediener als größter Störfaktor nicht vergessen werden.

Fazit:
NIEMAND KANN VORHERSEHEN, WAS PASSIEREN WIRD.
Jede Waffe und vor allem jeder Lauf verdaut alle Munitionssorten anders. Man kann nur versuchen, den Bedienern von Waffensystemen kleine Eselsbrücken zu bauen, damit man nicht zu viel Lehrgeld investiert, wo nichts zu gewinnen ist.
Unserer Meinung nach funktionieren die meisten AR Systeme am besten mit 55grs oder 62/63grs Geschossen. Da die meisten Läufe, die in den gängisten Systemen verbaut werden 9" oder 8" Drall besitzen, ist man mit der Anschaffung dieser Munitionssorten am besten beraten.
Bei 7" Drall kann man es auch gerne mit 77grs Geschossen probieren, oder noch eine Schippe drauf legen und 80grs wählen.
Aber warum? Je weiter man schießen will, desto einfacher tut man sich mit schwereren Geschossen. Diese sind nicht so windanfällig und transportieren mehr kinetische Energie ins Ziel. Außerdem halten sie das Momentum länger, das heißt, sie werden langsamer langsam, befinden sich also länger im Überschallbereich. Auf Entfernungen bis 300 oder 400m ist dies bei der .223Remington jedoch verschwendete Liebesmüh. Außergewöhnlich schwere Geschosse bringen nur etwas, wenn man die Patrone an ihr Limit bringen will. Und das ist bei der .223Remington bei ca 800m Entfernung.
Die schweren Geschosse starten zwar mit wesentlich geringerer Mündungsgeschwindigkeit, befinden sich jedoch noch im Überschallbereich, wenn leichte Geschosse schon subsonisch sind. Beim unterschreiten der Schallgeschwindigkeit beginnen Geschosse zu taumeln.
Wie immer hilft im scharfen Schuss jedoch: Probieren geht über studieren.
Und das wird der Autor mit seiner neuen AR15 auch machen. Der 8" Drall-16" Lauf wird mit 55grs und 63grs Geco Munition gefüttert und im Zweifelsfalle wird die Wiederladepresse angefeuert.
Warum auch nicht?
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